Warum ich Stifterin geworden bin

Sabine Maruschke mit Enkel
Sabine Maruschke hat sich's lange überlegt und ist nun aus gut beschriebenen Gründen Stifterin geworden.

Warum ich doch noch Stifterin der Stiftung Bürger für Leipzig geworden bin

Diese Zeilen beginnen mit einer Garnrolle meiner Großmutter im Jahr 1970 und enden mit einem Facebook-Post von Angelika Kell vom 28. Oktober 2021.

„Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt“ - mit diesem Satz brachte mich meine Großmutter als kleines katholisches Mädchen in den vermutlich ersten Gewissenskonflikt meines Lebens. Es kommt darauf an, wie gut man zu Anderen ist, hörte ich aus den Predigten beim sonntäglichen Kirchenbesuch heraus, nicht darauf, wieviel Geld man besitzt. Und doch übten die glitzernden 5-Mark-Stücke, die meine geliebte Omi in einer Garnrolle sammelte - „für den Notfall“ - eine seltsame Anziehungskraft aus. Sie hatte eine neue schillernde Münze aus ihren Einnahmen am Buffet im „Fröhlichen Hecht“ in Lehde im Spreewald gegen eigene abgegriffene Stücke „Mark der Deutschen Notenbank“ ausgetauscht. Dieses gute Stück wanderte in die Garnrolle, und bei dieser Gelegenheit durfte ich alle Glitzermünzen herausholen und war stolz, den Wert einschließlich der neuen Münze richtig addiert zu haben. Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass meine Großmutter meine alleinstehende Mutter mit ihrer Saisonarbeit finanziell ziemlich entlastete – ganz praktisch und jenseits aller monetären Erhöhung. Und mit einem von ihr für mich angelegten Sparbuch kam ich gut durch meine Studienjahre, gute Wörterbücher aus dem Antiquariat und Bulgarienreise inbegriffen.

Nach der Geburt meiner ersten Tochter im Jahr 1993 wurde mir zwischen Apfelreibe und Mütter-Kind-Treff irgendwie langweilig. Da begann der Prozess der Leipziger Agenda, und ich lernte Angelika Kell kennen. Diese Begegnung empfinde ich heute als ein wahrhaft heiliges Produkt meiner damaligen Langeweile. Wir gründeten eine AG Kommunale Entwicklungspolitik, und es waren fantastische Stunden der Begegnung mit vielen, die am Prozess der Leipziger Agenda mitgewirkt haben. Angelika hat das Thema globale Entwicklung in den Gesamtprozess der Leipziger Agenda eingebracht. Wir haben eine schöne Broschüre zusammen erstellt über das Engagement von Leipzigern in der Welt. Angelika hat mich gelehrt, in den Artikeln mit sprachlichen Bildern Aufmerksamkeit zu wecken.

Diesen Kniff berücksichtige ich noch heute, mit Erfolg und mit Vergnügen. Zum Beispiel für Texte, die ich für die Wohngemeinschaft Connewitz schreibe. In dieser Wohngemeinschaft lebt heute mein Sohn mit Handicap. Wir, Eltern von Kindern mit Behinderung, haben uns in Leipzig einfach auf den Weg gemacht, um eine Gemeinschaft für selbst bestimmtes Wohnen und Leben für unsere erwachsenen Söhne und Töchter zu gründen. Als der Erfolg unseres Vorhabens aus finanziellen Gründen mehr als auf der Kippe stand, unterstützte uns - wer? - die Stiftung Bürger für Leipzig. Viele spendeten nach dem Aufruf der Stiftung für unser ambitioniertes Projekt. Einige Spenderinnen und Spender habe ich auf der Liste der Zustifter für die Stiftung Bürger für Leipzig wiederentdeckt. Und es war beileibe nicht nur das Geld. Es war der moralische Rückhalt, den uns die Stiftung gegeben hat. Wir fühlten uns einfach nicht mehr so allein mit unserem Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben unserer Kinder. Das Geld beruhigte – im Sinne meiner Großmutter – etwas. Aber vor allem fühlten wir uns getragen von guten Begleitern, gerade auch von der Stiftung Bürger für Leipzig.

Es ist aber nicht nur diese persönlich erfahrene und Mut machende Unterstützung der Stiftung Bürger für Leipzig, warum ich schon seit einigen Jahren überlegt hatte, Stifterin zu werden.

Die Stiftung

  • verleiht mir Identität mit meiner geliebten freigeistigen Stadt Leipzig (an der ich trotzdem noch einiges auszusetzen habe): Bürgersinn – das prägt doch seit vielen Jahrhunderten unsere Stadt. Hier kannst Du hautnah erleben, dass Dein eigenes Handeln tatsächlich etwas bewirkt! Nicht nur im Oktober 1989, auch in den Jahren danach …
  • hat so spannende und so sinnvolle und lustige und originelle Projekte – ob Zuckertüte oder Bürgersingen – damit hat sie neben einem gesellschaftlichen Gewinn auch einen richtig guten Unterhaltungswert! Und unterhalten werden wollen wir doch alle, ober?
  • ist ein Angebot, in dem ich mit meinem Geld, das in der Menschheitsgeschichte wirklich zwielichtig daherkommt, etwas Gutes, ja auch gut Katholisches, bewirken kann.

Dennoch, „stiften gehen“, ein Slogan der Stiftung des ostdeutschen entwicklungspolitischen Netzwerkes INKOTA, war für mich nicht gleich der Weg der Wahl. 500 Euro – das ist kein Betrag aus der Portokasse für eine Mutter mit drei Kindern und der Unterstützung einer Freundin, die im „Centro Afro“ in Tumaco in Kolumbien Jugendlichen eine Perspektive gibt und das Engagement in Lateinamerika leistet, das ich hier nicht mehr geben kann.

Meine eingangs erwähnte älteste Tochter hat inzwischen drei Söhne. Was soll ich denen denn, heute fast 60jährig, hinterlassen? Außer die Erinnerung an viele schöne gemeinsame Erlebnisse natürlich. Ein Konzert mit Herbert Blomstedt zum Tag der offenen Tür im Gewandhaus vor Corona-Zeiten, als das Kinderprogramm schon vorbei war und ich staunte über die Geduld meines ältesten Enkels. Na, so gute Musik hatte er ja auch noch nicht erlebt. Im Töpferladen in Rheinsberg kaufte ich drei kleine Sparschweine mit den Namen der Jungs. Dort werfen wir nun glitzernde Euro-Münzen hinein, und ich freue mich darauf, wenn wir sie mal leeren, den Glanz bestaunen und dann damit einkaufen gehen. Die Garnrolle meiner Großmutter sind meine Sparschweine für die drei jungen Menschen, die die Jahre noch erleben werden, von denen in der Klimadiskussion von heute die Rede ist.

Aber drei Sparschweine - das kann doch nicht alles gewesen sein für die Nachfahren. Und es ist auch ein bisschen zu individualistisch. So für Leipzig, meine ich.

In dieser Schwebe las ich vor einigen Tagen einen Facebook-Post von Angelika Kell. „Nun wollen wir doch mal sehen, ob ich als Vorbild tauge …“ - Das war es! Dieser Post mit der Aufforderung „Komm rum, wenn du Stifter oder Stifterin werden möchtest.“ war dann so effektiv, dass ich mich von jetzt auf gleich dazu entschloss, Stifterin zu werden. Wann, wenn nicht jetzt? Was, wenn nicht das?

Wie ich an der Liste der Stifter sehe, befinde ich mich in guter Gesellschaft. Es gibt so viele, die gemerkt haben, dass wir Leipziger mit unserem Handeln wirklich, wirklich etwas verändern und etwas entwickeln können. Einige sind schon verstorben. Ich hoffe mal, dass mich dieses Schicksal nicht so schnell trifft. Zwar treffe ich schon Vorkehrungen und möchte viel regeln, vor allem für meinen Sohn mit Handicap.

Aber genau das ist es ja. „Stifterinnen leben länger, sag ich immer.“ ist der letzte Satz des Facebook-Posts von Angelika. Egal, wie es kommt. Wann immer es ist. Vielleicht erfahren meine Enkel von dieser, meiner kleinen guten Tat, nichts. Es ist ja jetzt auch nur ein kleiner Beitrag, genau genommen. Aber ich will ihnen gegenüber glaubwürdig sein, dass ich Zukunft – ihre Zukunft -  ernst nehme. Und zwar nicht nur ihre individuelle Zukunft, sondern die Zukunft unserer Gemeinschaft. Dafür bietet die Stiftung Bürger für Leipzig mit ihrem kommunalen Engagement genau die Ebene, die nachvollziehbar Konkretes und Verantwortung für die Allgemeinheit anschaulich verbindet.

So, jetzt packe ich noch das Päckchen mit den bestellten Weihnachtsgeschenken aus. Sie werden  hoffentlich Freude bereiten. Diese Freude wird zeitlich begrenzt sein. Was ich ihnen wirklich schenken will, ist Hoffnung auf ein zukunftsfähiges Miteinander. Das sehe ich nicht nur, aber eben auch, in dem, was die Stiftung Bürger für Leipzig denkt und tut. Dafür fällt mir nur ein Wort ein – Dankbarkeit. Für alles. Alles das, worum wir wissen, und das worum wir nicht wissen.