Hintergrund

Verklebte Arkaden Altes Rathaus in den 1990er Jahren. Foto: Karl Detlef Mai
Stiftung Bürger für Leipzig und Stadtbibliothek laden gemeinsam zum Erzählcafé über die 90er Jahre ein. Wie haben Bürgerinnen und Bürger die Neuorientierung sowie das Hineinwachsen in die neue, demokratische Gesellschaft erlebt?

Augenzeugen als Teil einer großen Geschichte

Augenzeuge, Akteur und Betroffener gesellschaftlicher Umbrüche zu sein, ist für die Biografie eines Menschen immer eine besondere Herausforderung. Rückblickend auf bewegte Zeiten können Menschen dann sagen, dass sie etwas erlebt haben, das sie dabei gewesen seien. Zwar sind die biografischen Bilanzen und Karrieren der letzten 30 Jahre in Ostdeutschland durchaus durchwachsen. Viele blicken auf schwere Jahre zurück.

Aber die friedliche Revolution und Vereinigung waren gerade in Leipzig eine große Sache. Die durchgreifende Transformation werten Biografien auf. Sie versetzen die Zeitgenossen in die Lage, ihr Geschick mit dem großen Lauf der Zeit zu verbinden und in ihren Familien und für die nachfolgenden Generationen zu großen Erzählern zu werden. Und das selbst dann, wenn man sich nicht zu den Siegern der Geschichte zählen kann.

Das Aus für industriegeschichtlichen Verhältnisse

Wir können heute noch gar nicht ermessen, wie wichtig und wertvoll die in der Transformation gewonnenen Lebenserfahrungen für die nachfolgenden Generationen sein werden. Zwischen 1989 und 1999 eröffnete oder erzwang der Prozess der deutschen Vereinigung bei über der Hälfte der Ostdeutschen andere Positionen und neue Laufbahnen. Das lag vor allem an der sehr raschen strukturellen Modernisierung. Da die neue Organisation von Wirtschaft und Arbeit, die Institutionen der Demokratie und die Entfaltung kultureller Märkte und Szenen vom alten Modell der Bundesrepublik eins zu eins übernommen wurden, sollten und konnten strukturelle Modernisierungen innerhalb von nur zehn Jahren flächendeckend durchgesetzt werden.

Für den Osten bedeutete das freilich zunächst das Ende industriegesellschaftlicher Verhältnisse. Die biografische Erforschung und Verankerung dieser Ereignisse haben aber erst begonnen. Umbruchs- oder Transformationserfahrungen sind ein bedeutendes gesellschaftliches Lernfeld, das als spannende Zeitgeschichte bearbeitet werden, dessen Augenzeugen, Akteure und Betroffene sich zu Wort melden und vor allem Gehör finden müssen.

Weitergeben von Erinnerungen - differenzierte Sichtweisen

Wir wollen uns, in lockerer Atmosphäre - bei Kaffee und Kuchen, sobald der Ausschank möglich gemacht wird - über unsere Erfahrungen in den 1990er Jahren in Leipzig austauschen. Uns interessiert, vor welchen beruflichen und privaten Herausforderungen Sie gestanden haben, was ihre Gewinne und Verluste waren und was Sie ihren Enkeln einmal über diese Zeit erzählen werden.

In diesem Erzählcafé soll die intergenerationelle Erfahrungsweitergabe von Umbruchserfahrungen thematisiert werden. Die differenzierten Sichtweisen auf den Umbruch werden mit verschiedenen Generationsperspektiven verglichen, es wird ein Bild von den Übereinstimmungen, Diskussionen und Konflikten in den Familien und Freundeskreisen über die ostdeutschen Umbrucherfahrungen entworfen.

Ihre Geschichten werden dokumentiert und für eine Veröffentlichung aufbereitet.

Wir freuen uns auf Sie und Ihre Erzählungen!

Prof. Dr. Michael Hofmann
Kultursoziologe und Mitglied des Stiftungsrates

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